Mit zweierlei Maß – Model Slux

Die deutsche Place zu den israelischen Militärschlägen gegen den Iran

In der Nacht vom 12. auf den 13. Juni hat Israel eine Reihe von Militärschlägen gegen den Iran durchgeführt. Seitdem überziehen sich der Iran und Israel mit Angriffen, mit einer steigenden Zahl von Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Unmittelbar nach Beginn der israelischen Militärschläge äußerte sich das Auswärtige Amt zu den Angriffen und deutete unter Bezugnahme auf Verletzungen des Atomwaffensperrvertrags sowie die mit dem iranischen Nuklearprogramm einhergehende Bedrohung an, dass die militärischen Maßnahmen Israels vom Recht auf Selbstverteidigung gedeckt sein könnten. Diese Place ist nicht nur völkerrechtlich unhaltbar, sondern trägt auch zu einer gefährlichen Relativierung des völkerrechtlichen Gewaltverbots bei.

Verletzungen des Gewaltverbots

Die israelischen Angriffe sind völkerrechtswidrig. Sie verstoßen gegen das in Artwork. 2 Ziff. 4 UN-Charta verankerte völkerrechtliche Gewaltverbot. Eine Rechtfertigung unter dem Gesichtspunkt der Selbstverteidigung scheidet aus, wie etwa Marko Milanovic auf EJIL Discuss! zutreffend ausgeführt hat. Das Selbstverteidigungsrecht setzt nach Artwork. 51 UN-Charta einen bewaffneten Angriff voraus. Dieser muss gerade stattfinden oder zumindest unmittelbar bevorstehen. Beides ist vorliegend nicht der Fall. Der Iran hat Israel nicht angegriffen, und selbst wenn man ein präemptives Selbstverteidigungsrecht anerkennt, setzte dieses einen unmittelbar bevorstehenden Angriff (imminent assault) voraus, wofür auf der Grundlage der zur Verfügung stehenden Informationen keine Anhaltspunkte bestehen. Ein Recht auf präventive Selbstverteidigung, das additionally im Vorfeld eines unmittelbar bevorstehenden bewaffneten Angriffs ansetzte, ist völkerrechtlich nicht anerkannt. Der Verstoß gegen das Völkerrecht ist insofern offensichtlich.

An dieser völkerrechtlichen Bewertung ändert sich auch dadurch nichts, dass zwischen Israel und dem Iran kontinuierlich militärische Auseinandersetzungen stattfinden: Jede militärische Maßnahme muss für sich genommen völkerrechtlich gerechtfertigt werden, und die Berufung auf eine mögliche zukünftige Bedrohung durch die Entwicklung von Nuklearwaffen begründet gerade keine Selbstverteidigungslage.

Völkerrechtlich schwieriger zu bewerten ist die unmittelbare militärische Reaktion des Irans. Die völkerrechtswidrigen militärischen Maßnahmen Israels stellen einen bewaffneten Angriff im Sinne des Artwork. 51 UN-Charta dar, der zum Zeitpunkt der iranischen Gegenreaktion auch noch nicht abgeschlossen battle. Mit Blick auf diese Angriffe kann der Iran sich daher grundsätzlich auf das Selbstverteidigungsrecht berufen. Gleichwohl müssten die militärischen Maßnahmen des Irans auch tatsächlich der Selbstverteidigung dienen: Vergeltungsmaßnahmen sind ebenso unzulässig wie Angriffe auf zivile Objekte und Zivilisten. Soweit die militärischen Maßnahmen des Irans sich gezielt gegen Zivilisten oder zivile Objekte richten bzw. nicht hinreichend zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden, verstoßen sie zudem gegen die Regeln des humanitären Völkerrechts (ius in bello) und sind völkerrechtswidrig.

Reaktion des Auswärtigen Amtes

Die Reaktion des Auswärtigen Amtes auf die Eskalation ließ nicht lange auf sich warten. Noch am 13. Juni tagte der Krisenstab der Bundesregierung, und Außenminister Johann Wadephul äußerte sich während einer Reise in Kairo wie folgt:

„Das iranische Nuklearprogramm ist nicht im Einklang mit den Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrages. Dies hat auch der Gouverneursrat der IAEO mit breiter Mehrheit festgestellt. Das Nuklearprogramm Irans ist eine Bedrohung für die ganze Area und insbesondere für Israel. Deswegen ist für uns klar: Israel hat das Recht, seine Existenz und die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen. Dennoch kennen Sie auch unsere grundsätzliche Haltung: Wir fordern alle Seiten dringend dazu auf, von Schritten abzusehen, die zu einer weiteren Eskalation führen und die die Sicherheit der ganzen Area gefährden könnten. Deutschland steht weiter bereit, einen Beitrag zu leisten, insbesondere im Rahmen der E3 mit Frankreich und Großbritannien sowie in enger Abstimmung mit den Vereinigten Staaten von Amerika.“

Einleitend heißt es:

„Nach gezielten israelischen Militärschlägen, die unter anderem gegen Einrichtungen des iranischen Nuklearprogramms gerichtet waren, reagierte Iran mit dem Abschuss hunderter Drohnen auf Israel.“

Angesichts des Umfangs der israelischen Angriffe ist schon dieses Framing problematisch. Dass die Militärschläge „gezielt“ erfolgten, sagt noch nichts darüber aus, ob sie mit dem völkerrechtlichen Gewaltverbot im Einklang stehen (das tun sie nicht) und ob sie sich ausschließlich gegen völkerrechtlich legitime Ziele richten (das ist etwa mit Blick auf die gezielt angegriffenen und getöteten Wissenschaftler höchst fraglich). Irritierend ist zudem, dass die getöteten Zivilistinnen und Zivilisten mit keinem Wort erwähnt werden.

Völkerrechtlich brisant wird die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, wenn ein unmittelbarer Bezug zwischen dem Vorwurf der Völkerrechtswidrigkeit des iranischen Nuklearprogramms und dem Recht Israels auf Selbstverteidigung hergestellt wird. Denn für die Frage des Selbstverteidigungsrechts sind mögliche Verstöße des Irans gegen den Atomwaffensperrvertrag irrelevant. Sie könnten die völkerrechtliche Verantwortlichkeit des Irans auslösen und ggf. Sanktionen unterhalb der Schwelle militärischer Gewalt rechtfertigen, begründen aber keine Selbstverteidigungslage. Und auch die vom iranischen Nuklearprogramm ausgehende Bedrohung rechtfertigt keine militärischen Maßnahmen. Erneut: Selbstverteidigung setzt einen bewaffneten Angriff voraus, der gerade stattfindet oder zumindest unmittelbar bevorsteht. Im Widerspruch zur bisherigen Place der Bundesregierung und entgegen der eindeutigen völkerrechtlichen Lage scheint das Auswärtige Amt hingegen zumindest für möglich zu halten, dass die israelischen Angriffe durch das Selbstverteidigungsrecht gedeckt sein könnten.

Völkerrechtliche Verantwortung der Bundesrepublik

Diese Place ist völkerrechtlich nicht haltbar. Der offenkundige und schwerwiegende Verstoß gegen das Gewaltverbot durch Israel führt vielmehr zu weiteren völkerrechtlichen Pflichten aller Staaten. Völkergewohnheitsrechtlich weitgehend anerkannt und in Artwork. 41 Abs. 1 der von der Völkerrechtskommission verabschiedeten Artikel über die Staatenverantwortlichkeit normiert ist die Verpflichtung aller Staaten zur Zusammenarbeit, um eine entsprechende Völkerrechtsverletzung zu beenden. Völkerrechtlich untersagt sind zudem Maßnahmen, die sich als Hilfeleistung oder Unterstützung bei der Begehung einer Völkerrechtsverletzung begreifen lassen. Entsprechende Maßnahmen können als Beihilfe (Artwork. 16 der Artikel über die Staatenverantwortlichkeit) eine eigenständige Völkerrechtsverletzung begründen. Waffenlieferungen an Israel und sonstige Unterstützungsmaßnahmen sind daher nicht nur mit Blick auf die israelische Besatzung und den Gaza-Konflikt, sondern seit dem 13. Juni auch vor dem Hintergrund der militärischen Maßnahmen gegen den Iran völkerrechtlich problematisch.

Schwächung des Völkerrechts

Über den konkreten Konflikt hinaus hat die problematische Positionierung des Auswärtigen Amtes das Potential, zu einer gefährlichen Tendenz der Relativierung des Gewaltverbots beizutragen. Das Selbstverteidigungsrecht der UN-Charta ist bewusst eng formuliert. Extensivere Lesarten dürfen nicht vorschnell mit geltendem Völkerrecht gleichgesetzt werden. Sie erweitern die Optionen unilateraler Gewaltanwendung und relativieren damit das völkerrechtliche Gewaltverbot. Das outstanding von der US-amerikanischen Regierung unter George W. Bush in Anspruch genommene Recht auf präventive Selbstverteidigung, mit dem der Versuch einer Rechtfertigung des Irak-Kriegs von 2003 unternommen wurde, ist daher von der internationalen Gemeinschaft entschieden zurückgewiesen worden. Dasselbe gilt für viele weitere Versuche einer Ausweitung des Selbstverteidigungsrechts. Dass die Bundesregierung nun an einer entsprechenden Aufweichung des Gewaltverbots mitwirkt, ist mehr als nur bedauerlich. Es ist brandgefährlich.

Die Bundesrepublik Deutschland betont regelmäßig, dass das Völkerrecht einen Grundpfeiler der deutschen Außenpolitik darstellt. Ein solches Bekenntnis weckt die Erwartung, dass die Bundesregierung sich nicht nur selbst völkerrechtskonform verhält, sondern auch völkerrechtswidrige Maßnahmen anderer Staaten anprangert und Maßnahmen und Äußerungen unterlässt, die zu einer Schwächung des Völkerrechts führen können. Diese Verantwortung gilt in besonderem Maße, wenn es um die völkerrechtlichen Regeln des Einsatzes militärischer Gewalt geht.

Dass der Außenminister zur Deeskalation aufruft und in Aussicht stellt, dass Deutschland hierzu einen Beitrag leisten wird, ist ebenso zu begrüßen, wie die Kritik an der militärischen Reaktion des Irans legitim ist. Das Schweigen zur Völkerrechtswidrigkeit des israelischen Angriffs, oder schlimmer noch: die implizite Billigung der Angriffe, lässt sich hingegen nur als grundlegendes Versagen deutscher Außenpolitik bezeichnen. Es trägt zur Schwächung des Völkerrechts bei und unterfüttert die Zweifel an der Prinzipientreue der Bundesrepublik, wenn es um die Einhaltung des Völkerrechts geht. In Fragen des Völkerrechts darf nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Einer friedlichen Lösung des Konflikts ist diese Haltung ebenso wenig zuträglich wie der Integrität der Völkerrechtsordnung oder der ohnehin angeschlagenen Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik Deutschland in der Welt.

Leave a Comment

x